Heute am 9. November, am Tag des Mauerfalls, ist Werner Schulz im Alter von 72 Jahren gestorben. Er war ein Volksvertreter, der über die Grenzen seiner Partei, aber auch seines Landes hinausgedacht und gehandelt hat. Dies begann mit seinem Mandat für die erste freigewählte Volkskammer, führte über seine Tätigkeit als Abgeordneter des Deutschen Bundestages und endete auch nicht mit seinem Mandat für das Europäische Parlament. Im Zentrum seines Lebens stand sein Einsatz für Demokratie und Mitbestimmung. Er stritt als Mitglied der Arbeits- und Expertengruppe des Runden Tisches „Neue Verfassung“ 1990 für eine Erweiterung der Menschen- und Bürgerrechte noch in der untergehenden DDR. Er tat dies, weil er an das Vermächtnis der Friedlichen Revolution von 1989/90 glaubte, ihr aktives Wirken in eine demokratische Zukunft hinein. In seiner Rede am 9. Oktober 2009 beim Festakt zur Friedliche Revolution im Leipziger Gewandhaus führte er aus: „Nein, die kommunistischen Staaten Osteuropas sind nicht zusammengebrochen oder implodiert. Gesellschaften brechen nicht einfach zusammen. Das zeigen China, Nordkorea oder Kuba. Und Revolutionen vollziehen sich nicht im Selbstlauf. Sie ereignen sich dann, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen. Wenn Menschen den Mut fassen, etwas zu tun und zu wagen, wozu sie lange nicht bereit waren.“ Und schon 2009 warnte er vor der Hochschätzung eines ehemaligen KGB-Offiziers, „der als Präsident und Ministerpräsident für schwere Menschenrechtsverletzungen in Russland mitverantwortlich ist. […] Gerade der Freistaat Sachsen sollte wahrlich einer anderen Tradition verpflichtet sein.“

Die UOKG ist Werner Schulz zu besonderem Dank verpflichtet. Er setzte sich bereits früh (1992) und später als Beirats-Mitglied der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur über mehrere Amtsperioden hinweg für eine finanziell und inhaltlich abgesicherte Aufarbeitung durch die Bürger, für eine „Förderung außerparlamentarischer Ansätze zur Aufarbeitung“ ein. Die vielfältige Aufarbeitungslandschaft, die heute die fünf östlichen Bundesländer prägt, ist zu großen Teilen auf diese frühe Weichenstellung zurückzuführen. Genauso forderte er, die in einer Reihe von ostdeutschen Arbeitsämtern entstehenden Seilschaften zu entfernen, die begonnen hatten, ihre eigene Gefolgschaft zu bevorzugen. Er scheute sich auch als stellvertretender Vorsitzender des Beirates nicht, die Stiftung Aufarbeitung hart zu kritisieren, wenn sie sich von ihrem gesetzlichen Auftrag zu sehr entfernte, „die Erinnerung an das geschehene Unrecht und die Opfer wachzuhalten sowie den antitotalitären Konsens in der Gesellschaft, die Demokratie und die innere Einheit Deutschlands zu fördern und zu festigen“. Ebenso harsch sprach Werner Schulz die klaren Worte Richtung Russland aus: „Wir dürfen uns von der Atomdrohung nicht einschüchtern lassen.“

Wir trauern um einen ehrlichen, aufrichtigen – im wahrsten Sinne des Wortes – streitbaren Demokraten, der das in der Friedlichen Revolution Erlernte bis zu seinem Tod bewahrt hat.

Dieter Dombrowski

Bundesvorsitzender der UOKG

Foto: CC-BY-SA Stephan Röhl / www.boell.de

Dieter Dombrowski, Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG):

„Am 9. November werden all die Menschen gewürdigt, die zum Sturz des SED-Regimes beigetragen haben. Mit dem Fall der Berliner Mauer in Abendstunden des 9. November 1989 wurde Weltgeschichte geschrieben. Die Mauer fiel und damit zerbrach friedlich durch den Willen der Bürgerinnen und Bürger auch die SED-Diktatur.“

Mit zahlreichen Veranstaltungen wird am Mittwoch in Berlin an den Mauerfall vor 33 Jahren und die Reichsprogromnacht vom 9. November 1938 erinnert. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Zentralrat der Juden laden an diesem Tag zu einer Tagung ins Schloss Bellevue. Sie steht unter der Überschrift: „Wie erinnern wir den 9. November? Ein Tag zwischen Pogrom und demokratischen Aufbrüchen.“ Auch der Bundesvorsitzende der UOKG Dieter Dombrowski wird daran teilnehmen.

Bild: Ansgar Koreng / CC BY-SA 4.0

Vor 30 Jahren, am 4. November 1992, trat das 1. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz in Kraft. Dieses einmalige und international als vorbildlich angesehene Gesetz gab den insgesamt 279.000 politischen Häftlingen der DDR erstmals die Möglichkeit, sich strafrechtlich rehabilitieren zu lassen. Die aktuellen Antragzahlen für das Land Berlin zeigen, dass das Thema politischer Haft in der DDR nicht abgeschlossen ist. Im Jahr 2020 wurden laut der aktuellen Berliner Sozialstudie am Landgericht Berlin 507 Anträge auf strafrechtliche Rehabilitierung gestellt.

Dieter Dombrowski, Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG):

„Trotz aller Erfolge, bestehen weiterhin für einzelne Opfergruppen wie z.B. bei den Zwangsausgesiedelten und Haftzwangsarbeitern Gerechtigkeitslücken. Sie warten bis heute auf eine öffentliche Anerkennung vor allem auf eine materielle Entschädigung. Bei der Anerkennung der gesundheitlichen Folgeschäden von politischer Haft verlaufen die Anerkennungsverfahren auch nach der jüngsten Gesetzesänderung zu 99 % im Sande. Die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze sind ein Erfolg, aber es warten immer noch Betroffene auf Hilfe.“

„SED-Opfer dürfen nicht in Vergessenheit geraten“

Dieter Dombrowski, Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG):

 „Es ist ein Tag der Freude für alle Deutschen und ein ermunterndes Zeichen für die ganze Welt, dass friedliche Revolutionen erfolgreich sein können. Wichtig ist, dass die Opfer der SED-Diktatur nicht in Vergessenheit geraten. Die Opferpension reicht oft nicht aus, um die Opfer der SED-Diktatur angemessen zu entschädigen. Aktuelle Studien -zuletzt die BIS-Studie des Berliner Aufarbeitungsbeauftragten- zeigen, dass die Opfer der SED-Diktatur besonders häufig von Altersarmut betroffen sind. Im Sinne der zumeist älteren Betroffenen sind schnelle Lösungen erforderlich, wie beispielsweise eine deutliche Erhöhung der Opferpension. “

Entsprechende Vorschläge sollten nun zügig an die Landesregierungen und den Bund herangetragen werden, so Dombrowski abschließend.

Der Bundesvorsitzende nimmt an den offiziellen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Erfurt teil.

Laut einer aktuellen Studie des Berliner Instituts für Sozialsforschung GmbH (BIS), verfügen die Verfolgten der SED-Diktatur über ein geringeres Einkommen (1.418 €) als der durchschnittliche Berliner (Jahr 2019: 1.621 €). 39 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie verfügen sogar über ein Haushaltseinkommen von unter 1.000 €. Die Berechnungen der aktuellen Studie beziehen sich ausschließlich auf das Land Berlin. In Brandenburg ergab eine Studie aus dem Jahr 2020, dass fast jeder zweite Haushalt dort lebende Betroffene über ein Haushaltseinkommen von monatlich weniger als 1.000 € verfügt.

Die vom Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED Diktatur, Tom Sello vorgestellte Teilstudie, die sich unter anderem mit den Beratungsangeboten und Rehabilitierungsprozess für politisch Verfolgte der SED-Diktatur befasst, beruht auf einem Beschluss des Abgeordnetenhauses aus dem Jahr 2017, im November 2020 begannen die Untersuchungen des Instituts (BIS). Knapp 490 Betroffene wurden hierfür online befragt.

Bild: Katharina Kosak, www.kosakdesign.de

Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat im Rahmen des internationalen Ausstauschprogrammes „Memory Work“ an Dr. Ivanov ein Stipedium bewilligt. Die UOKG e.V. untersützt Herrn Ivanov als Partnerorganisation. Das Projekt „Die letzte Adresse“ wurde 2013 von dem Moskauer Journalisten Sergej Parchomenko auf Grundlage eines Mottos ins Leben gerufen, dass stark an die Bewegung „Stolpersteine“ „ein Name, ein Leben, ein Zeichen“ erinnert. Das Ziel der „letzten Adresse“ besteht jedoch darin, an diejenigen die den sowjetischen Sicherheitsdiensten im Zeitraum von 1918 bis 1990 zum Opfer fielen, zu erinnern. Durch eine Tafel wird auf die letzte Lebensphase von Menschen aufmerksam gemacht, die als Verfolgte des Sowjetregimes in Folge erdachter Anklagen verhaftet wurden und zu Tode kamen. An dem letzten Wohnort wird eine 11 mal 19 Zentimeter große Tafel an die Hauswand angebracht. Neben Vorname, Familiennamen, Geburtsdatum, Datum der Verhaftung und Sterbedatum kann man dort den Beruf und das Datum der Rehabilitation der Person, die durch die Verfolgung sowjetischer Behörden zu Tode kam, erfahren. An der Stelle eines Fotos, ist eine Leerstelle ausgeschnitten. Das Projekt existiert in 6 Ländern: Russland, Ukraine, Georgien, Moldawien, Tschechische Republik und Deutschland. Der deutsche Zweig des Projekts entstand im Jahr 2018 auch auf Initiative von Herrn Ivanov, der zuvor mehrere Jahre als Kurator des St. Petersburger Zweigs der „letzten Adresse“ tätig war. Die erste Gedenktafel in Berlin wurde am 8. Juli 2022 in der Mengerzeile 8 im Ortsteil Alt-Treptow eingeweiht und erinnert an den 1951 hingerichteten Fritz Storch.