Bericht zur Tagung „Verurteilt in Schwerin – erschossen in Moskau“ in Schwerin

Am 25. September 2025 lud Burkhard Bley, Landesbeauftragter für MV für die Aufarbeitung der SED-Diktatur zusammen mit der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion e. V. zur Tagung „Verurteilt in Schwerin – erschossen in Moskau“ nach Schwerin ein. Im Mittelpunkt standen erneut die kommunistische Repression im Norden der SBZ/DDR und der Umgang mit dem belasteten Kunsterbe des Lenin-Standbilds im Stadtteil Neu Zippendorf. Der Tagungsort in Sichtweite der monumentalen Bronzeplastik bot den passenden Rahmen, um an die Opfer sowjetischer Militärtribunale zu erinnern und über den Umgang mit Symbolen totalitärer Herrschaft zu diskutieren.

Historiker wie Prof. Jörn Happel (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) und Dr. Natalja Jeske (Rostock) ordneten das Thema in den historischen Kontext ein. Mehr als hundert Menschen waren in Schwerin durch sowjetische Tribunale verurteilt und in Moskau erschossen worden – eine verdrängte Realität der frühen DDR-Zeit. Stefan Krikowski, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Workuta, berichtete vom Schicksal seines Vaters, der 25 Jahre Zwangsarbeit im GULag überlebte, und machte deutlich, dass hinter jedem Urteil ein gebrochenes Leben steht.

Amélie zu Eulenburg von der Bundesstiftung Aufarbeitung beleuchtete die Frage, wie mit Kunstwerken aus der DDR im öffentlichen Raum umzugehen sei. Bewahren, um zu mahnen – oder entfernen, um zu befreien? Diese Leitfrage durchzog auch die abschließende Podiumsdiskussion, die von Birgit Schröter moderiert wurde.

Für eine Überraschung sorgte der Schweriner Oberbürgermeister Dr. Rico Badenschier (SPD), der in seinem Grußwort verkündete, das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege habe den Auftrag erteilt, die Lenin-Statue unter Denkmalschutz zu stellen. Damit schien die Entscheidung über die Zukunft des Monuments bereits gefallen. Badenschier sprach von einer „Chance zur konstruktiven Auseinandersetzung mit der Geschichte“. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer empfanden dies als deutlichen Affront gegenüber den Opfern des kommunistischen Terrors.

Lenin steht nicht für Freiheit, sondern für Unterdrückung, Gewalt und Entmenschlichung – für den Beginn einer Ideologie, die Millionen das Leben kostete. Das 1985 errichtete Denkmal ist kein „neutraler Zeitzeuge“, sondern ein Herrschaftssymbol. Seine Bewahrung im öffentlichen Raum bedeutet keine Aufarbeitung, sondern Verklärung. Zahlreiche Länder Osteuropas haben ihre Lenin-Statuen längst demontiert oder an Orte überführt, an denen sie kritisch eingeordnet werden können, ohne das Stadtbild weiter zu dominieren.

Das Schweriner Stadtparlament soll nun über die Eintragung in die Denkmalliste entscheiden. Opferverbände und Aufarbeitungsinitiativen fordern stattdessen eine Neugestaltung des Platzes an der Hamburger Allee. Statt Lenin solle dort ein Denkmal für den jungen Liberalen Arno Esch entstehen, der 1951 von einem sowjetischen Militärgericht zum Tode verurteilt und erschossen wurde. Sein Satz „Mein Vaterland ist die Freiheit“ wäre ein glaubwürdiges Leitmotiv für einen Ort, der bislang von der Staue eines Diktators beherrscht wird.

News Flash: Kurz nach der Tagung wurde die Unterschutzstellung tatsächlich vollzogen. Das Landesamt sprach von einem „Erinnerungszeichen für einen untergegangenen Staat“. Doch viele Bürgerinnen und Bürger empfinden diese Entscheidung als fatales Signal. „Lenin war kein Symbol des Friedens, sondern der Beginn einer Diktatur, die Millionen Menschen Leid gebracht hat“, erklärte die CDU-Landtagsabgeordnete Katy Hoffmeister. Opferverbände und Initiativen sprechen von einer Verhöhnung derjenigen, die unter der sowjetischen Gewaltherrschaft gelitten haben.

Das Lenin-Standbild mag aus der Geschichte stammen – doch es steht mitten in unserer Gegenwart. Solange es dort bleibt, bleibt auch die Wunde offen, die seine Ideologie geschlagen hat. Ein freiheitlich-demokratisches Schwerin sollte den Mut haben, sich von den Symbolen der Unterdrückung zu trennen und stattdessen den Opfern des kommunistischen Terrors ein sichtbares, würdevolles Zeichen zu setzen. Denn Geschichte bewahren heißt nicht, ihre Täter zu ehren, sondern sich an ihre Opfer zu erinnern.

Die Tagung wurde in voller Länge live gestreamt und ist nun als Mitschnitt bei YouTube zu finden. Wir wünschen gute Unterhaltung.

Foto: Sandra Czech (Verhüllungsaktion im Juni 2025)