ALDI bezog vor dem Fall der Mauer Produkte aus der DDR, die u.a. von politischen Häftlingen in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Millionen Damenstrumpfhosen gingen ihren Weg aus der Fertigungsstelle des VEB Esda Thalheim im DDR-Frauengefängnis Hoheneck in die ALDI-Supermarktregale. Dort wurden sie unter dem Namen „Iris“ bei ALDI Nord und „Sayonara“ bei ALDI Süd im Billigsegment verkauft. Die häufig aus politischen Gründen inhaftierten Frauen arbeiteten unter menschenunwürdigen Bedingungen.
ALDI bekennt sich in seinem Verhaltenskodex zu fairen Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechten. Von den Schatten der Vergangenheit will das Unternehmen aber nichts wissen. ALDI ist trotz stichhaltiger Beweise nicht bereit, auf die Betroffenen von Haftzwangsarbeit in der DDR zuzugehen. Ein Schlag ins Gesicht derer, die für die Profite des Konzerns schuften mussten.
Wir fordern:
ALDI muss auf die nicht von der Hand zu weisenden Fakten endlich reagieren und mit den Betroffenen in einen konstruktiven Dialog treten!
ALDI muss sich kritisch und transparent mit den Geschehnissen in der Vergangenheit auseinandersetzen und seine Rolle in diesem dunklen Kapitel deutsch-deutscher Geschichte anerkennen!
Hinter dieser Anerkennung der Verantwortlichkeit der ALDI-Konzerne für das geschehene Unrecht muss eine finanzielle Beteiligung am bundesweiten Härtefallfonds stehen!
ALDI hat die einmalige Gelegenheit, als erstes deutsches Unternehmen mit gutem Beispiel voranzugehen und seinen vollmundigen Selbstverpflichtungen Taten folgen zu lassen.
Wir benötigen Ihre Mithilfe – ALDI muss endlich auf die Forderungen der UOKG reagieren! Es gibt viele kreative Möglichkeiten für jeden Einzelnen, aktiv zu protestieren und auf die Misstände aufmerksam zu machen:
Aus zahllosen Zeitzeugenberichten politischer Häftlinge geht hervor, dass die Betroffenen im SED-Staat Zwangsarbeit leisten und dabei häufig unter gesundheitsschädigenden, teils lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten mussten. Verweigern konnten sie die Arbeit nicht, ohne schwere Strafen zu riskieren. Diese reichten von der Unterbindung familiärer Kontakte bis hin zu Einzelhaft mit zusätzlich haftverschärfenden Maßnahmen. Die Folgen des gerade im Strafvollzug der DDR missachteten Arbeitsschutzes waren regelmäßig auftretende Arbeitsunfälle sowie langfristige gesundheitliche und psychische Probleme nach der Haft. Die Folgeschäden der Haftzwangsarbeit werden von den zuständigen Behörden und Gerichten häufig nicht anerkannt. Sie behaupten, dass nach so vielen Jahren kein kausaler Zusammenhang zwischen der Haftzwangsarbeit damals und den gesundheitlichen Problemen heute herzustellen sei. Eine angemessene Entschädigung bleibt für die Betroffenen somit in aller Regel aus.
Mit den Ergebnissen der Vorstudie wurde eine wissenschaftlich fundierte Grundlage für die Anerkennung der Gesundheitsschäden infolge von Haftzwangsarbeit geschaffen.
In der Traumaforschung ist unumstritten, dass sich gerade die Inhaftierung aus politischen Gründen negativ auf die Gesundheit Betroffener auswirkt. Die Vorstudie kommt zu dem Schluss, dass gesundheitliche Folgeerkrankungen ehemaliger politischer Häftlinge ihre Ursache nicht allein in dem durch die Haftsituation verursachten traumatischen Stress hatten, sondern auch in den spezifischen Bedingungen, unter denen die Betroffenen während ihrer Haftzeit Zwangsarbeit leisten mussten, zu suchen sind.
Teilproduktionen bildeten einen exponierten Bestandteil der DDR-Exportwirtschaft. Für den VEB Strumpfkombinat Esda Thalheim war das DDR-Außenhandelsunternehmen TextilCommerz zuständig. Vertreterfirmen aus der Bundesrepublik vergaben Aufträge, Produktionswünsche und Kontingentvorstellungen direkt an den VE AHB (Volkseigener Außenhandelsbetrieb) TextilCommerz. Der übermittelte alles an das verantwortliche Kombinat und den VEB Esda Thalheim. Vertreterfirmen bildeten im sogenannten Esda-Komplex das Bindeglied zwischen dem VE AHB TextilCommerz, den Betrieben in der DDR und den Endverkäufern bzw. Großabnehmern, wie etwa die Fa. Nolte (ALDI Süd) oder Albrecht Einkauf OHG (ALDI Nord) in der Bundesrepublik. Die jährlichen Exportkontingente für Damenstrumpfhosen in die Bundesrepublik beliefen sich auf rund 30 bis 45 Millionen Paar, inkl. des Anteils aus Haftzwangsarbeit.
Von Bedeutung für diese Studie ist der Einsatz von weiblichen Strafgefangenen aus der Strafvollzugseinrichtung Hoheneck für den VEB Edsa Thalheim, was aktenbasiert belegt werden kann. Berichte von Zeitzeuginnen vervollständigen das Bild. Es ist ferner belegt, dass pro Jahr etwa 9 Millionen Strumpfhosen von Zwangsarbeiterinnen produziert wurden, was etwa 10 Prozent der Gesamtproduktion ausmachte und ca. 8 Millionen Valutamark pro Jahr entsprach.
Am Beispiel der Feinstrumpfhose Sayonara konnten im Rahmen der Vorstudie die Abstimmungen der Exportkontingente, der Eingang von Einzel- bzw. Sammelbestellungen sowie der Abruf der Erzeugnisse durch den VE AHB TextilCommerz direkt bei dem VEB Feinstrumpfhosenwerk Esda Thalheim aufgezeigt werden. Möglich war das z.B. anhand der durch den VEB vergebenen Rechnungs- und Einzelauftragsnummern, denen das entsprechende Produkt – im vorliegenden Fall die Feinstrumpfhose Sayonara – sowie die abgerufene Menge zugeordnet werden konnten. Auf einigen Formularen zur Errechnung des Einzelpreises, an einem konkreten Beispiel mit 0,68 Mark der DDR der in Haft gefertigten Strumpfhose angegeben, ist der produzierende VEB, der Zwischenhändler, der Endabnehmer des ausführenden Außenhandelsbetriebs, die abgerufene Menge, der Lieferumfang von 2000 Paletten bei knapp 400 Tonnen Gewicht, die ausführende Lieferfirma (Deutrans), das Datum, der zu nutzenden Grenzkontrollpunkt und die Provision für den Zwischenhändler erkennbar.
Zu erkennen ist ferner das Zusammenführen der Produktion aus den Werken des VEB Esda Thalheim mit denen des Strafvollzugs zu einer gesamtheitlichen Exportlieferung. Die Ware wurde für den Endkunden mit einem Preis versehen, markttypisch verpackt und versandfertig gemacht. Es wurde der Abgang der Ware durch den VEB an den Außenhandelsbetrieb mit Hinweisen zur Rechnungslegung gemeldet. Mit Kenntnis dieser Papiere bei den bundesdeutschen Abnehmern ist die Lieferkette bereits geschlossen, wird aber mit der vorliegenden zeugenschaftlichen Aussage eines Zivilangestellten im Frauengefängnis Hoheneck, der Lieferwagen mit den Aufschriften der Firmen ALDI, Karstadt, Quelle auf den Hof des Gefängnisses zur Beladung mit (u.a.) Strumpfhosen zu fahren und sie anschließend vor dem Gefängnis dem bundesdeutschen Fahrer wieder zu übergeben hatte, untermauert.
Es konnte festgestellt werden, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Haftzwangsarbeit und gesundheitlichen Folgeschäden bzw. Beeinträchtigungen bei Betroffenen von Haftzwangsarbeit überaus wahrscheinlich ist. Darüber hinaus konnte anhand der Lieferketten herausgearbeitet werden, dass Firmen, die von Haftzwangsarbeit profitierten, von den Umständen der Produktion Kenntnis hatten bzw. haben konnten. Im Rahmen dieser Studie sind viele Akten erstmalig gesichtet, aber bei weitem noch nicht alle vollumfänglich bearbeitet worden. Das soll in einer angestrebten Hauptstudie erweiternd und vertiefend geschehen.
Quellenangabe:
Abschlussbericht für die Vorstudie „Zwangsarbeit politischer Häftlinge in Strafvollzugseinrichtungen der DDR“
Autoren:
Samuel Kunze (Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für die Geschichte Osteuropas)
Dr. Markus Mirschel (Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für die Geschichte Osteuropas)
Beteiligte Institutionen:
Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für die Geschichte Osteuropas
Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V.
Projektverantwortlicher:
Prof. Dr. Jörg Baberowski (Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für die Geschichte Osteuropas)
Fördergeber:
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM)
Bundesstiftung Aufarbeitung
Ein umfangreiches Dossier über das Frauengefängnis Hoheneck mit vielen weiterführenden Links
Hoheneck-Blog
Ein Blog von und über ehemalige Insassinnen des Frauengefängnisses Hoheneck (aktiv von 2009-14)
Zwangsarbeit DDR
von der UOKG konzipiertes Webportal, das Informationen und Materialien zum Thema DDR-Zwangsarbeit bereithält (2024)
Ausgebeutet für den Klassenfeind – Wie DDR-Zwangsarbeiter für Westfirmen leiden mussten
Dokumentation von Achim Reinhardt und Claudia Butter (Report Mainz) des SWR (2015)
Der Hoheneck-Komplex
Eine multimediale Produktion des MDR (2021)
Sachse, Christian: Das System der Zwangsarbeit in der SED-Diktatur. Die wirtschaftliche und politische Dimension
Leipzig, 2014
Thiemann, Ellen: Wo sind die Toten von Hoheneck?
München, 2014, 2. Auflage
Thiemann, Ellen: Stell dich mit den Schergen gut
München, 1990
Wunschik, Tobias: Knastware für den Klassenfeind: Häftlingsarbeit in der DDR, der Ost-West-Handel und die Staatssicherheit (1979-1989)
Göttingen, 2014