(K)ein Regenbogen über Berlin: Der lange Weg zur Akzeptanz

Seit 1994 ist Homosexualität in der Bundesrepublik nicht mehr strafbar – welch ein Befreiungsschlag für all die Menschen, die Jahrzehnte unter dem menschenverachtenden § 175 gelitten haben und während des NS-Terrors aufgrund ihrer Liebe zum gleichen Geschlecht sogar um ihr Leben fürchten mussten.

Der „175er“ stigmatisierte und kriminalisierte homosexuelle Menschen weit über die Nachkriegszeit hinaus und wurde während der deutschen Teilung im Jahre 1968 lediglich in der DDR abgeschafft. Mit einer Liberalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen oder gar einem Werben für eine breite gesellschaftliche Akzeptanz hatte das allerdings nur wenig zu tun. Das MfS wurde zu keinem Zeitpunkt müde, homosexuelle Menschen unter Druck zu setzen, deren Subkultur in der Schmuddelecke zu verorten oder sie mit einem angedrohten Outing vor Familie und Freunden zur inoffiziellen Mitarbeit zu zwingen.
Im Zuge von Zersetzungsmaßnahmen wurde darüber hinaus häufig das Gerücht gestreut, die oder jene Person sei homosexuell, um sie gesellschaftlich zu desavouieren. Auch in der Bundesrepublik diente der „175er“ häufig zur Erpressung von Menschen und konnte Stolperstein auf Karrierewegen sein. Mit der deutschen Einheit bekamen die Ostdeutschen den „175er“ zwar zunächst wieder auf den Tisch, aber die Gesellschaft hatte sich über die Jahre längst weiterentwickelt. Homosexuelle Partnerschaften wurden immer breiter akzeptiert sowie respektiert und in den Großstädten der westlichen Welt übte die schwule Subkultur eine immer größere Faszination aus. Dass die ländlichen Regionen hinter dieser Entwicklung zurückblieben, darf bei all der Freude über die Liberalisierung gleichgeschlechtlicher Liebe nicht unerwähnt bleiben.

Volksfestähnlichen Charakter haben die seit den frühen 1990er Jahren in immer mehr Städten stattfindenden Gay Prides und Christopher Street Days. Ein Höchstmaß an Akzeptanz und Toleranz brachten im Zuge dessen Vertreterinnen und Vertreter aus Stadt- und Landesparlamenten sowie aus dem Deutschen Bundestag mit ihrer Teilnahme an den feierlichen Umzügen im Schulterschluss mit den über Jahre Geächteten zum Ausdruck. Flankiert wurde das vielerorts mit Regenbogenflaggen auf staatlichen Gebäuden.

Mit dem Hissen der Regenbogenflagge auf dem Reichstag seit 2022, dem deutschen Gebäude mit der wohl wechselvollsten Geschichte und heute Sitz des deutschen Parlaments, sollte die wohl unumstößliche Nachricht verknüpft sein: Ihr gehört zu uns. Wir gehören zusammen. Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Nur drei Jahre später widerspreche das dem „Neutralitätsgebot“ – so die frisch gekürte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner. Wenn universelle Menschenrechte dem Neutralitätsgebot widersprechen, dann befinden wir uns im Rückwärtsgang gesellschaftlichen Miteinanders und dem Verstecken von „abweichenden“ Lebensentwürfen wird das erste Türchen geöffnet.
Den Autokraten dieser Welt würde das gewiss gefallen.
Ob in Deutschland aber eine Entwicklung so einfach aufzuhalten ist, die Homosexualität entkriminalisiert und in die Mitte der Gesellschaft getragen hat, bleibt zu bezweifeln. Aber: Wehret den Anfängen! Rückwärtsgewandten Gesellschaftsmodellen unter dem Deckmantel der „Neutralität“ sollte vehement begegnet werden und der Stolz auf Erreichtes, um das uns so viele Länder dieser Erde beneiden, sollte Maßstab für die Zukunft sein.

Text: Peter Keup
Bild: Sebastian Sachse (KI)