08. Juli Verbändetreffen und ALDI-Aktionstag am 21. und 22. Juni 2025
Verbändetreffen am Samstag
Inmitten der historischen Kulisse der ehemaligen Stasi-Zentrale in der Normannenstraße trafen sich am Wochenende 21. und 22. Juni 2025 die Vertreterinnen und Vertreter der Opferverbände und Initiativen der SBZ/SED-Diktatur. Eingeladen hatte die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft unter Leitung ihres Bundesvorsitzenden Dieter Dombrowski. Das Treffen spiegelte einmal mehr eindrucksvoll wider, wie lebendig und zugleich herausfordernd Erinnerungskultur im vereinten Deutschland bleibt.
Politischer Rückenwind – aber auch neue Baustellen
Ein zentrales Thema war die jüngste Novellierung des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom Januar 2025. Evelyn Zupke, SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag, informierte über die wichtigsten Fortschritte. Außerdem übergab Frau Zupke Dieter Dombrowski den aktuellen Jahresbericht, der am 17. Juni 2025 medienwirksam vorgestellt worden war.
Doch die Euphorie wird auch durch ernüchternde Realitäten gebremst: Die blinden Stellen in der Gerechtigkeit, etwa für Zwangsdoping-Geschädigte, sind weiterhin gravierend. Auch auf das Schicksal der Internierten in den sowjetischen Speziallagern der SBZ und deren lückenhafte Aufarbeitung wurde deutlich hingewiesen. Die Teilnehmer forderten deshalb mehr Forschungsarbeit und eine offenere Debatte über historische Verantwortung.
Erinnern unter Druck
Wie schwierig der Umgang mit Geschichte ist, zeigte sich auch an den Berichten über Anfeindungen gegenüber Aufklärungsarbeit. So schilderten Vertreter von Vereinen, dass ihnen mitunter antikommunistische Hetze vorgeworfen werde – ein Framing, das die Gedenkarbeit delegitimiere. Auch der Zugang zu Schulen werde schwieriger, da es immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gebe und viele Lehrkräfte das Thema nur zögerlich behandeln.
Die Teilnehmer betonten daher die Notwendigkeit, neue Formen des Erinnerns zu finden – etwa durch digitale Bildungsangebote oder eine stärkere Zusammenarbeit mit Gedenkstätten. Evelyn Zupke sprach in diesem Zusammenhang von der „kritischen Infrastruktur unserer Demokratie“, die es zu schützen und zu stärken gelte.
Lesung mit Tiefgang: Siegmar Faust und das „Verdoppelte Leben“
Ein bewegender Höhepunkt war die Lesung des Bürgerrechtlers und ehemaligen DDR-Häftlings Siegmar Faust aus seiner Autobiografie „Verdoppeltes Leben“. Faust schilderte eindrücklich seine Zeit im berüchtigten Zuchthaus Cottbus, darunter 400 Tage in einer feuchten Kellerzelle – eine Strafe für das Verfassen einer handgeschriebenen Gefängniszeitung. Er sprach über seine Kindheit im Osten, über politische Illusionen und persönliche Verluste. Die autobiografische Rückschau offenbarte nicht nur individuelle Brüche, sondern auch die Komplexität ostdeutscher Biografien.
Jeder Marxist, der an die Macht kam, wurde ein Massenmörder“, so sein bitteres Fazit. Und doch war es keine Abrechnung, sondern ein Appell zur ehrlichen Erinnerung, auch an die eigenen Irrwege.
Mitgliederversammlung
Dieter Dombrowski berichtete zunächst von der Vielzahl wahrgenommener Termine: Beiratssitzungen, Gesprächen im Bundestag, Veranstaltungen mit ZeitzeugInnen. Der Schwerpunkt lag auf der Gesetzesänderung zum SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, das am 1. Juli 2025 in Kraft tritt – ein Erfolg langjähriger politischer Einflussnahme. „50 Prozent meiner Arbeit findet mittlerweile im Bundestag statt“, betonte Dombrowski und unterstrich damit die zentrale Bedeutung des Dialogs mit der Politik.
Ein weiteres Schlüsselthema: das dunkle Kapitel der Haft-Zwangsarbeit in der DDR. Mit einer Petition, einem aktivierenden Video und einer Info-Kampagne im medialen Raum rückt die UOKG dieses Thema erneut ins öffentliche Bewusstsein. Proteste, etwa vor der Aldi-Zentrale in Essen, sollen Lieferketten und unternehmerische Verantwortung sichtbar machen. Doch der Weg bleibt steinig: „Aldi ist ein harter Brocken“, resümierte Dombrowski.
Doch auch international zeigt die UOKG Präsenz: In Toszek/Polen wurde zum wiederholten Male der Gedenkort der Massengräber des NKWD-Lagers Tost besucht. Die Nachforschungen zur genauen Lage bleiben mühsam – Kontakte zu Firmen, auf deren Gelände mutmaßlich Gräber liegen, müssen derzeit mit polnischer Hilfe aufgebaut werden. Begleitend dazu wurde der aktuelle Film für die Gedenkreise vorgeführt.
Emotionaler Höhepunkt und Zuwachs für die UOKG: die Aufnahme des Vereins „Erkenntnis durch Erinnerung e.V.” aus Dresden. Der Vereinsvorsitzende Henry Krause berichtete eindrucksvoll von seiner eigenen Geschichte und den wachsenden Anforderungen an die Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden, wo der Verein seinen Sitz hat.
Auch die Berichte aus den Mitgliedsverbänden machten deutlich: Die UOKG ist ein lebendiges Netzwerk. Von juristischen Erfolgen im Rehabilitierungsverfahren über Ausstellungen, Bildungsarbeit und regionale Gedenkinitiativen – der Kampf gegen das Vergessen wird vielfältig geführt. Die Versammlung offenbarte auch kritische Stimmen – etwa zur mangelnden wissenschaftlichen Aufarbeitung der Zwangsarbeit in Brandenburg oder zur Transparenz des Härtefallfonds. Dombrowski antwortete offen: Die UOKG kämpft – mit begrenzten Mitteln, aber klaren Zielen. Nächste Etappe ist der Dritte Bundesfrauenkongress „Dialog der Generationen” am 26. bis 28. September 2025 in Dessau – und natürlich weitere Protestaktionen.
Die UOKG bleibt laut: Für Gerechtigkeit. Für Erinnerung. Für die Opfer.
Aktion am Sonntag
Der zweite Tag stand im Zeichen der Öffentlichkeit: Mit einer symbolischen Protestaktion gegen Zwangsarbeit politischer Häftlinge in der DDR waren Mitglieder der UOKG und ihrer Verbände am Pariser Platz präsent. Viele Passanten reagierten auf die angebotenen Flugblätter und Gespräche mit Interesse und Anteilnahme – ein ermutigendes Signal für alle Engagierten.
Fazit
Das Verbändetreffen der UOKG zeigte: Aufarbeitung ist kein abgeschlossenes Kapitel, sondern eine andauernde gesellschaftliche Aufgabe. Fortschritte in der Gesetzgebung sind wichtig, doch sie müssen von politischem Willen, öffentlicher Anerkennung und wissenschaftlicher Neugier begleitet werden. Die Opferverbände leisten dabei unverzichtbare Arbeit – gegen das Vergessen und für eine Erinnerungskultur, die sich nicht in Sonntagsreden erschöpft.
Ein gemeinsamer Blick nach vorn – die nächsten Termine sind gesetzt: Am 8. und 9. November 2025 wird erneut zum Verbändetreffen nach Berlin in die Ruschestraße geladen. Save the Date!