Nachruf auf Anita Goßler

Im 91. Lebensjahr ist Anita Goßler, eine der engagiertesten Betroffenen der Aufarbeitung des SED-Unrechts, am 19. Januar 2025 verstorben. Wer diese stille, aber tapfere Kämpferin für das Andenken der zahllosen Opfer der kommunistischen Diktatur erlebt hat, kann nur mit Hochachtung auf ihr nun vollendetes Lebenswerk schauen.

Sie wurde 1933 in Delitzsch bei Leipzig geboren und hatte mit Glück den Krieg überlebt. Bis zur zehnten Klasse besuchte sie die Schule in Wittenberg. Ihr Wunsch, das Abitur abzulegen und danach Medizin zu studieren, wurde ihr als Konfirmandin vom SED-Staat verwehrt. Die Familie kehrte nach Delitzsch zurück. Anita Goßler musste in einer Seifenfabrik arbeiten und trat ab 1951 eine Lehre bei der Reichsbahn an.

Als 19-Jährige wurde sie im Januar 1953 am Arbeitsplatz verhaftet und in die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit nach Leipzig gebracht. Sie wurde der „Mitwisserschaft von Waffenbesitz“ und „Erfindung sowie Verbreitung von tendenziösen Gerüchten“ beschuldigt. Wer sich auch nur einigermaßen in der Geschichte auskennt, wird die Beschuldigungen einordnen können. Während der Untersuchungshaft stellte sich heraus, dass sie schwanger war. Trotzdem wurde sie in dieser Haftzeit immer wieder physisch misshandelt und am 15. Mai 1953 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Im Oktober 1953 brachte sie im Haftkrankenhaus Leipzig-Meusdorf ein Mädchen zur Welt, das ihr drei Monate nach der Geburt weggenommen wurde. Man zwang sie, ihr Kind zur Adoption freizugeben.

Anfang 1954 wurde sie in das Frauengefängnis Hoheneck in Stollberg (Sachsen) verlegt. Das Gefängnis war zu diesem Zeitpunkt vollkommen überfüllt, während ihrer Haft musste Anita Goßler Zwangsarbeit leisten. In Hoheneck wurde sie durch häufigen Entzug des erbärmlichen Essens, langer Einzelhaft und auch dreimaliger Folter im eiskalten Wasser der Wasserzelle gequält. Die emotionalen Folgen der Zwangsadoption kann niemand nachempfinden. Bis zur politischen Wende 1989 gab es keine Kontaktmöglichkeit. Erst 1998 hat Anita Goßler ihre Tochter mit Hilfe des Rotes Kreuzes wiedergefunden. Aber es konnte sich kein Verhältnis zwischen ihr und ihrer entfremdeten Tochter entwickeln, worunter sie bis ins hohe Alter furchtbar litt.

Sie, die miterlebte, wie Schicksalsgefährtinnen zugrunde gingen, wollte diesen ein würdiges Andenken schaffen und unternahm mit etlichen Kameradinnen alles, um aus dem ehemaligen Frauengefängnis Hoheneck, dem Ort ihrer Qual, eine Gedenkstätte werden zu lassen. Im November 2011 wurde sie zur ersten Vorsitzenden des 1991 gegründeten Frauenkreises der ehemaligen Hoheneckerinnen e.V. gewählt. Als Mitglied des UOKG-Vorstandes (2010-2018) setzte sie sich stark für die Errichtung eines Mahnmals für alle Opfer der SED-Diktatur ein.

Anita Goßler war eine wertvolle Zeitzeugin. Sie tat nichts hinzu und nahm nichts hinweg. Anita Goßler wird uns fehlen.

S. Czech, C. Sachse, R. Wagner

Foto: K. Helber (v.l.n.r. Margot Jann, Konstanze Helber, Anita Goßler, Dieter Dombrowski)