„Zwangsaussiedlungen“ aus dem Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze
Von „Zwangsaussiedlungen“ aus dem im Mai 1952 errichteten 5-km-Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze sprechen wir nur, wenn es sich um individuelle politische Verfolgung handelte.
Neben einigen Einzelfällen um 1980 war der überwiegende Teil (mehr als 11.000 Menschen) von zwei großen Aktionen im Mai/Juni 1952 (in Thüringen unter dem Namen „Ungeziefer“ vorbereitet – etwa 8000 Menschen) und am 3. Oktober 1961 (zentral unter dem Decknamen „Festigung“ vorbereitet) betroffen. Ohne Vorankündigung wurden ganze Familien innerhalb von Stunden unter Androhung von Waffengewalt ins Hinterland verschleppt und dort zwangsweise zumeist in Notquartieren untergebracht, illegale Rückkehr in das abgeriegelte Sperrgebiet konnte mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. Als Grundlage benutzte das SED-Regime eine Ministerratsverordnung vom 26. Mai 1952, an deren Erlass die Volkskammer nicht beteiligt war. Die Vertreibungen waren außerdem ein Bruch der bis 1967 geltenden Verfassung.
Die Betroffenen wurden in den Aufnahmeorten als Verbrecher angekündigt, waren jahrelangen Reglementierungen, Repressionen, Bespitzelungen und Schikanen ausgesetzt.
Laut Geheimbefehl sollten vorrangig „im Sperrgebiet nicht Gemeldete“, „Ausländer“, „Staatenlose“, „straffällig Gewordene“ sowie „Gegner der demokratischen Ordnung“ ausgewiesen werden. In der Praxis allerdings traf es vorwiegend regimekritische, alteingesessene Selbständige mit großem Einfluss auf die Bevölkerung: Gastwirte, Landwirte Handwerker und Gewerbetreibende. Das SED-Regime hatte die Aktion 1952 abgestritten und die von 1961 als harmlosen Wohnungswechsel hingestellt. Die unglaublichen und entwürdigenden Umstände ihrer „Ausweisung“ aus dem Grenzgebiet und ihrer Zwangsansiedlung im Hinterland sorgten dafür, dass die Betroffenen ihr Schicksal aus Angst und aus Scham verschwiegen. So waren die Zwangsaussiedlungen und das damit verbundene Unrecht bis 1990 nahezu unbekannt.
Entwicklungen nach 1990
Nach der Friedlichen Revolution forderten die Betroffenen Rehabilitierung und Wiedergutmachung sowie die Rückgabe ihres geraubten Eigentums. Regelungen für sie im DDR-Rehabilitierungsgesetz wurden nach dem 3. 10.1990 nicht in bundesdeutsches Recht übernommen. Die erste demokratisch gewählte DDR-Regierung setzte noch im September 1990 das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) in Kraft. Den Zwangsausgesiedelten, die von der DDR mit Geld entschädigt worden waren, wurde als einziger Gruppe der direkte Zugang zum VermG verwehrt. Um die Restitution beantragen zu können, benötigten sie aber erst eine Rehabilitierung nach dem „2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz“, das erst im Juli 1994 in Kraft trat. Dieses sieht für alle politisch Verfolgten einen Schadensausgleich für verfolgungsbedingte gesundheitliche, vermögensrechtliche und berufliche Schäden vor. Vom Ausgleich für berufliche und gesundheitliche Schäden profitierte nicht einmal 1% der Zwangsausgesiedelten, vermögensrechtlich ergaben sich durch den Zeitverzug häufig erhebliche Nachteile gegenüber politisch nicht verfolgten Enteigneten.
Traumabewältigung
Die Bewältigung des erlittenen Traumas war und ist für die Zwangsausgesiedelten schwierig. Wichtige unterstützende Faktoren fehlten: Der Schicksalsschlag wurde verschwiegen, er kam völlig überraschend es gab kein Licht am Ende des Tunnels, keine gute Sozialisierung im neuen Umfeld und keine Antwort auf die Fragen „warum überhaupt, warum gerade ich und warum auf diese Art und Weise“.
Entschädigung
Im Gegensatz zu allen anderen Gruppen von Verfolgten des SED-Regimes haben die Zwangsausgesiedelten bis heute keine gesellschaftliche Würdigung ihres Schicksals durch eine angemessene Entschädigung erhalten, die helfen würde, das Trauma besser zu überwinden und ihnen die Würde wiedergeben könnte. Immer wieder behaupten ehemalige Stützen des SED-Regimes, dass keine Unschuldigen betroffen seien.
Dieter Dombrowski (Bundesvorsitzender der UOKG) und Inge Bennewitz (A I Z, Vorstandsmitglied UOKG) fordern deshalb in ihrer Petition (Pet 4-19-07-251-006792 aus der 19.WP) für jeden Zwangsausgesiedelten das gesetzlich verankerte Recht auf eine Einmalzahlung in angemessener Höhe.
Bildergalerie
In Streufdorf, Keis Hildburghausen, gab es am 5. Juni 1952 massiven Widerstand gegen die Räumkommandos, er wurde ausgelöst durch das Läuten der Kirchenglocken und den kurz zuvor aufgeführten DEFA-Propaganda-Film, dessen Botschaft sich an westdeutsche Bauern richtete und mit Hilfe des sowjetischen Militärs gebrochen. Zum Gedenken an die schrecklichen Ereignisse und die Opfer finden hier alljährlich Gedenkveranstaltungen statt.
Inge Bennewitz
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Beitragsbild: Thomas Rauscher